Thomas Manns „Tod in Venedig“ handelt, wie der Name vermuten lässt, in Venedig und auch Donna Leons Commissario Brunetti stiefelt in Venedig umher. Ich gehe davon aus, dass die beiden dafür Gründe hatten. Also Thomas Mann und Donna Leon. Wobei letztere eigentlich gar nicht so heisst, sie ist bekanntlich Amerikanerin und ersterer längst den Zustand angenommen hat, welcher der einleitend erwähnte Titel besagt. Mann ist nämlich tot. Brunetti hingegen ist eine fiktive Figur, kann also nicht sterben, ausser Donna Leon liesse ihn. Wird sie aber wohl nicht, weil sie, wie sie selber sagt, mit ihm verheiratet sei, was ich wiederum aus zwei Gründen nicht ganz verstehe. Zum einen frage ich mich, wie man mit einer fiktionalen Figur verheiratet sein kann. Zwar könnte das durchaus praktische Gründe haben; er lässt die Socken nicht herumliegen und Streit gibt es wohl auch nicht oft, aber dann muss sie immer den Abwasch machen und fair ist das nicht. Zum anderen tendiert Donna Leon ja auch mehr Richtung Frauen und das ist ihr auch nicht zu verübeln, aber warum soll sie dann mit dem Commissario verheiratet sein? Hat das etwas mit dem Wohnrecht hier in Venedig zu tun? Sollte ich sie auf der Gasse sehen, werde ich sie das fragen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihr begegne ist zwar gering, aber noch unwahrscheinlicher ist, dass sich mein Weg mit Thomas Mann kreuzt, weil eben… Ausserdem wohnte dieser im Gegensatz zu Donna Leon auch gar nicht in Venedig.
Wir sehen, so Manches spielte und spielt in Venedig ab oder könnte hier stattfinden, stattgefunden haben oder wird dereinst stattfinden. Vieles ist für alle ersichtlich, welche sehen wollen, wenn Dinge beispielsweise morgens auf dem Markusplatz vorfallen. Gewisse Dinge erschliessen sich den Menschen aber nicht. Zum Beispiel dann, wenn etwas in einer verwinkelten Gasse geschieht, wenn just gerade niemand da ist, ausser vielleicht eine Möwe, aber die erzählt es ja niemandem. Überhaupt sind Möwen diskret, auch wenn sie zu lautem schreien tendieren. Auch die Möwen in Venedig wahren Diskretion. Oder gerade die Möwen in Venedig?
Solche Gedanken kamen mir heute, als wir durch die Calle Larga Contarina gingen oder den Canale Grande überquerten, die Ponte dell‘Accademia überschreitend. Es ist schon so, dass es viele Leute in Venedig hat. Aber wenn man dem Markusplatz und den sich darauf befindenden, mit Selfie-Sticks bewehrten Leuten den Rücken kehrt, ist man bald für sich – oder mit dem Geist von Thomas Mann – und dann ist es ruhig und beschaulich.
Gewiss gleitet dann ein Gondoliere mit seinen Fahrgästen heran, aber die sitzen für einmal ganz andächtig da und rennen nicht gehetzt umher. Sie tun auch gut daran, weil eine solche Fahrt kostet ein Heidengeld. Ich verstehe das, schliesslich muss ein Gondoliere stets präsent sein, dazu noch mit Körpereinsatz arbeiten und die Gondola ist zudem in seinem Besitz, sehr teuer und will amortisiert sein. Oft singen die Gondolieri auch. Meist falsch, aber mit Freude und darauf kommt es an.