Was nicht bereits die Römer an Kulturgütern aus Ägypten abgezügelt hatten, hat Napoleon bei seinem Feldzug mitgehen lassen. Die Engländer räumten dann noch hinter sich auf. Gut, dass die Pyramiden zu schwer zum mitnehmen sind, eine solche stünde heute bestimmt an der Place de la Concorde in Paris. Und so würde man das älteste als solches erbaute Museum vermutlich nicht in Kairo vermuten. Beim ägyptischen Museum am El Tahrir-Platz in Kairos Stadtmitte sind mehrheitlich die Objekte ausgestellt, welche nach dem erwähnten Ägyptenfeldzug gefunden wurden. Das sind sehr zur Freude Ägyptens und Amun Ra sei Dank mit an die 100’000 Exponate auch nicht eben wenige und darunter auch sehr bedeutende.
Prachtvolle, antike Ausstellungsstücke in den verstaubten Hallen des Museums
Eine solche ist die weltberühmte Narmer-Palette, welche zeigt, wie der erste Pharao und Begründer der 1. Dynastie seine Feinde bodigt. Es handelt sich dabei um das vermutlich älteste historische Dokument der Welt. Die messerscharfen Darstellungen sind glasklar und äusserst graphical. Deren ungefährer Sinn erschliesst sich auch nicht Ägyptologen intuitiv und das nach mehr als 5000 Jahren nachdem die damaligen Illustratoren die Szenen in die Schieferplatte hineingepixelt hatten. Das Exponat ist ein Wimmelbild für Erwachsene mit Gruselcharakter. Wo ist Walter? Moment, mal suchen. Ah voilà, da liegt er. Aber warum sitzt sein Kopf nicht auf dem Hals, sondern liegt zwischen seinen Beinen? Okeey, daneben liegen noch andere, denen es gleich ergangen ist. Die Leute standen wohl auf der anderen Seite des Heeres des Narmers.
Die Message dieser Platte lässt sich auch noch nach Jahrtausenden verstehen
Dann gibt es natürlich eine Vielzahl Statuen. Chephren, Cheops, Ramses II., Amenhotep II., Teje usw. usf. etc. pp. u.v.a.m. Leicht gruselig wird es, wenn nicht nur Du die Statuen anschaust, sondern sie eben auch Dich. Ich meine, eine Statue aus Kalkstein oder Holz ist noch das eine. Wenn sich das Licht aber in deren Augen aus Kristall spiegelt und Du leicht irritiert davon nähertrittst und dann im Glaskörper vertieft die Iris siehst, wird es irgendwie lebendig. Man sagt die Augen seien das Fenster zur Seele. Schaue ich nun in eine sich tief in der Vergangenheit befindenden Seele hinein? Das Uncanny Valley schlägt wieder zu. Das Vorhandensein animierter Figuren scheint keine Bedingung zu sein, eine Statue aus Holz des Beamten Kaaper tut es offenbar auch. Und das nicht eben zu knapp. Würde sich die Figur zu bewegen beginnen und Altägyptisch zu einem sprechen, man wäre wohl nicht über alle Masse erstaunt. Ashraf erklärte uns, dass die Leute, welche diese Statuen fanden, sich vor diesen gefürchtet hätten. Wir sind nicht erstaunt. Ich würde mir so ein Ding auch nicht neben das Bett stellen wollen, Aberglauben hin oder her.
Ob prähistorisch oder antik, aus Stein, Holz oder Ton – manche Figuren wirken erschreckend lebendig
Dann sind da die Skarabäen. Von denen hat es noch viel mehr als Statuen. Zu Hunderten sind sie in Vitrinen, sieht aus wie eine Sammlung aufgespiesster Insekten. Man sollte solche nicht in die Hosentasche reintun, spätestens seit The Mummy (1999) müsste jedem bekannt sein, was einem sonst zu blühen droht. Genau, Du wirst aufgefressen. Von innen. Nicht schön. Wir vermuten, dass die Skarabäen darum hinter Glas sind.
Man wartet nur darauf, dass die Mumien sich aus ihren Sarkophagen erheben …
Und überhaupt, das Gebäude sieht mit seinen gnadenlos veralteten Holzvitrinen aus wie eine Kulisse aus einem dieser Ägyptenfilme, welche interessanterweise stets vor ungefähr hundert Jahren spielen. Muss wohl damit zusammenhängen, dass Howard Carter das Grab des Tutanchamun 1922 entdeckte und das einen Ägyptenhype ohnegleichen ausgelöst hatte. Vermutlich hat sich das dermassen in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, dass nun alle Mumienspielfilme und so in dieser Zeit stattfinden müssen. Also abgesehen von den Rückblenden, das ist klar.
Während der Schatz des Tutenchamuns alles überstrahlt, bleibt von Cheops (Khufu), trotz der gigantischen Pyramide, nur ein wenige Zentimeter grosses Figürchen übrig
Fünf Abschnitte sind um und wir noch immer im Museum. Von all den schönen Fundstücken vom Grab des Tutanchamun haben wir noch gar nicht berichtet. Wir verstehen nun, weshalb Pharaonengräber für Grabräuber so geil waren wie menschliche Innereien für Skarabäen. Da wurde also mit Gold nicht gespart, sondern richtiggehend geklotzt. An den Grabbeilagen des fast gänzlich unbedeutenden Pharaos Tutanchamunlässt sich erahnen, was da an Kulturgütern bei all den anderen Pharaonen verlustig ging. Und das ganz ohne Franzosen.
Spaziergang durch das mittelalterliche Kairo bis zu den Resten der Stadtmauer.
Bei Abschnitt sechs mussten wir aus dem Museum raus, schliesslich hiess es noch die von Salah ad-Din Yusuf ibn Ayyub ad-Dawīnī – kurz und bei uns besser bekannt als Saladin – erbaute Zitadelle mit ihrer Muhammad-Ali-Moschee besuchen. Ashraf legte Wert darauf zu erwähnen, dass damit nicht der Boxer gemeint sei. Da wären wir also auch noch drauf gekommen, wobei wir einen Zusammenhang vorderhand nicht kategorisch ausschliessen würden, einfach ohne Ursache und Wirkung miteinander zu verwechseln. Saladin erbaute die Zitadelle zur besseren Verteidigung gegen die Kreuzritter und als UNESCO-Weltkulturerbe. Die Kreuzritter wiederum erbauten die Burg Qal’at al-Karak, um die Ostflanke von Jerusalem gegen Saladin abzusichern. So beschäftigt man sich gegenseitig.
Die Alabaster-Moschee auf der Zitadelle von Saladin
Als kultureller Abschluss der beiden Tage in Kairo besuchten wir schliesslich die annähernd achthundert Jahre alte Sultan-Hasan-Moschee, die zu ihrer Zeit grösste Moschee der Welt. In ihr sassen wir im Schneidersitz am Boden und Ashraf erklärte uns die fünf Pfeiler des Islam. Von aussen betrachtet muss es ausgesehen haben als seien wir seine Koran-Schüler. Zum Abschluss der beiden Tage schenkte er uns zwei Büchlein zum besseren Verständnis des Islam.
In der Sultan-Hasan-Moschee tummeln sich heute nur noch Touristen – Seidenreiher und Bootsvergnügen am Nil