Gut ist Sonntag, sonst wären auch noch die Lorries auf der M3. In Grossbritannien haben die Ferien begonnen. Auf der Raststätte war es kein luegen mehr. Fällt der Alltag von den Leuten ab, geht dies offenbar mit dem Verlust jeglicher Sensibilität für angemessene Kleidung einher und das Wohnzimmer wird nach draussen auf die Strasse gekehrt. Dass mir das überhaupt auffällt. In Sachen Stil bin ich nun wirklich kein Massstab. Ruhet in Frieden Coco Chanel, Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent. Gut, dass Ihr Euch das nicht mehr anzuschauen braucht. Auch mich nicht. Meine Reisekleidung ist zwar knitterfrei praktisch und kommt bereits schranktrocken aus der Waschmaschine, aber Lagerfeld hätte sich wohl die Augen ausgestochen, wäre ich ihm begegnet. Ich stelle mir vor, unsere Reisen gekleidet wie Karl Lagerfeld zu tätigen. Würde das überhaupt gehen? Da kann man sich wohl nicht mehr hinsetzen und den Kopf schon gar nicht mehr drehen bei den bestimmt an die dreissig Centimeter messenden Krägen. Ob die dazu gut waren, dass man das Gewinde am Hals nicht sah? Ich verwerfe den Gedanken wieder. Schönheit muss leiden, schon klar, aber dann doch lieber stillos authentisch. Auch in einem Hugo Boss habe ich kein Gardemass und daher sind italienische Schnitte für mich besser. Aber nicht heute, nicht hier, nicht beim Reisen. Ist doch wahr!
Sowieso muss ich über ein anderes Phänomen nachdenken: Die Kombi aus Reisen und der Aussicht auf Autobahn scheint bei mir das Sprachzentrum zu stimulieren und die Schreibfreude anzuwerfen. Woran das wohl liegen mag? Bei anderen lösen Autobahnen einen Fluchtreflex aus oder machen sie überhol-aggro. Schreiben und Autobahn scheinen mir per se nicht so gut zusammenzugehen. Vor allem, wenn man am Steuer sitzt. Hinten am Tisch, angegurtet auf der Rückbank, betrachte ich mir den Blick von Tastatur und iPad lösend gerne die Fahrzeuge, an welchen wir vorbeiziehen. Wegen den massivst getönten Fenstern kann man die Insassen anderer Autos gut studieren, ohne sie dabei zu stören. Wo die wohl alle hinfahren? Was sie gerade denken? Worüber sie sich unterhalten? Natürlich ist nicht alles so poetisch und es gibt einem schon auch mal zu denken. Vorhin zum Beispiel. Der andere: Kopf zur Seite weggeknickt, Augen zu, der Mund offen wie ein Scheunentor. Mit Sorge fragte ich mich, ob das gut kommen mag, bis mir in den Sinn kam, dass die hier die Lenkräder ja eben rechts haben und der andere links sitzt, also Beifahrer ist. Oder wohl eher Beischläfer. Aber egal, so geht das natürlich schon. Ich blickte etwas tiefer in das Fahrzeug. Doch, die Fahrerin hat die Augen offen. Besser ist das. Sonst verläuft die Reise dann eben nicht wie gewünscht.
Unterdessen sind wir auf der M25. Höhe Ausfahrt Gatwick, bekannt vom Flughafen. Also Grossraum London. Da waren wir im Dezember ja kurzum. Ihr erinnert Euch: Das ABBA-Konzert. Aber da fuhren wir mit dem Zug hin. Und kamen ums Haar nicht mehr zurück. Malibu tut seinen Dienst fahrender Weise seit nunmehr 64’950 Kilometern zuverlässig. Der Motor läuft und läuft und läuft. Wir leisten unseren Beitrag, indem wir ihm sogenannt ‚gute‘ Kilometer angedeihen, ergo keine Kurzfahrten. Wobei der Verkehr unterdessen nicht mehr wirklich fährt. Ist ein Stehverkehr. Heute wird in Dover die Hölle los sein. Dover – Calais kann verglichen werden mit Göschenen – Airolo, nur dass in dem Fall halt ein Meer, respektive die Fährkapazität und nicht ein Berg, respektive die Tunnelkapazität der limitierende Faktor ist. Das Prinzip bleibt sich. Besser nicht am Wochenende bei Ferienbeginn versuchen. Wir haben nun mal Fähre am Dienstagmittag gebucht. Das müsste passen. Wir hätten zwar noch immer zwei Wochen Zeit. Aber auch zwischen Calais und daheim lässt es sich aushalten und wir haben nicht vor auf direktestem Weg nach Hause zu fahren. Wäre schade ums Reisen.
Aber bevor wir die Insel verlassen, geben wir uns nun noch zwei Übernachtungen bei Canterbury. Auf diese Weise hat Malibu mal wieder eine Pause und wir können Morgen die Stadt mit den Bromptons erkunden gehen. Alleine die Kathedrale muss ein Besuch wert sein.
So. Mittlerweile ist M26, 170 gefahrene Kilometer liegen an und allmählich wird eine Wachtablösung fällig. Wie vorangehend beschrieben, nehme ich das iPad besser nicht mit ans Steuer. Multitasking ist erwiesenermassen ja eh schon scheisse, in diesem Fall wäre es zusätzlich grobfahrlässig. Drum besser nicht.
Der mittelalterlichen Charakter von Canterbury blieb erhalten, auch wenn die Innenstadt arg touristisch wirkt
24 Stunden später: Doch, Canterbury gehört definitiv besucht. Die Stadt schafft es also auf unsere Top five Grossbritanniens. Die anderen sind: York, Chester, Cambridge und Stratford upon Avon. London läuft ausser Konkurrenz. Die Sehenswürdigkeit schlechthin von Canterbury ist natürlich die Canterbury Cathedral. Selbstredend UNESCO World Heritage. Die braucht nicht speziell auf sich aufmerksam zu machen. Sie ist nicht zu übersehen. Das Hauptschiff der Kirche war heute nicht zugänglich, weil die University dieses für ihre Diplomfeier gemietet hätte. Wir bräuchten halt das Geld hat eine Mitarbeiterin mir beschieden, die Kirche verschlänge dreissigtausend Pfund täglich. Sie fragte mich, ob wir Swiss German sprächen. Nicht schlecht, sie kriegte gerade mal zwei Worte mit, welche ich Stefan sagte. Ihre Mutter sei von einem Oberwalliser Geschlecht, der Vater ein Micheloud. Irgendwie haben hier alle Verwandte in der Schweiz. Die ältere Dame, mit welcher ich mich gestern im Tankstellenshop unterhielt, hat einen Cousin in Münsingen. Ich vermute allmählich, dass es nicht die Normannen waren, welche 1066 in Grossbritannien einfielen. Es waren die Schweizer. Wer hat‘s erfunden!
Die Kathedrale von Canterbury ist von aussen wie von innen ein eindrückliches Bauwerk
Besondere Erwähnung wert ist die Krypta der Canterbury Cathedral. In einer ihrer Kapellen haben die tausend Jahre alten Zeichnungen nur überlebt, weil sie hinter einer Mauer versteckt waren. Die Darstellungen sehen Romanisch aus und erinnern an die von Müstair. Der gezeichnete Cherub an die der Hagia Sofia in Istanbul. Auf Säulen sind merkwürdige Wesen gemeisselt, wohl heidnischer Provenienz. Dass die tausend Jahre Christentum überstanden haben. In einer Kirche! Gerne hätte ich diese fotografiert. Fotografieren war aber untersagt.
Die einstige Pracht der St. Augustinus Abtei, von wo aus die Christianisierung von England begann, lässt sich anhand der Ruinen erahnen
Ansonsten wird man auf Tafeln sogar explizit dazu aufgefordert zu fotografieren. Das ist mal etwas anderes. In der Regel besagen solche das Gegenteil. Und also fotografierten wir.
Besonders angefasst hat mich das Grab des Black Prince (siehe Titelbild). Man könnte vermuten, bei der Figur über dem Sarkophag handle es sich nicht um eine Skulptur, sondern um den schwarzen Prinzen höchstpersönlich. Aber lieber The black Prince als Darth Vader.