Die Seesicht gestern wäre schön gewesen. Wäre. Leider hatte es jede Menge Endlospubertiere in Kombination mit einem Parkplatz und einer neben diesem herführenden Strasse, welche offenbar mit einer Rennpiste verwechselt werden können. Sie standen also mit ihren Mühlen links und rechts von uns, im Leerlauf will so ein Motor schon mal auf 6000 Umdrehungen gebracht werden. Sonst kriegt man den Gang nicht rein, ist ja logisch. Auf der Strasse gehen dann auch nicht die vorgesehenen 30 Meilen, also knapp 50 km/h, da muss mindeste das Doppelte auf den Asphalt, damit drei Sekunden später voll in die Eisen gestiegen werden kann. Solches lässt sich also gut alle drei Minuten wiederholen, wenn es sein muss. Um halb neun war bei uns der Zapfen ab und dann starteten auch wir den Motor. Für das Protokoll: Bei einer Umdrehungszahl, wie sie Frachtschiffe in etwa aufweisen. Das reicht. Für den Zeitraum, an welchem wir dem Strand entlangfuhren, war der Verkehr dann auf einmal gemächlich. Sehr gemächlich. Wir liessen uns Zeit. Die Kiddies drehten in ihren Mühlen hinter uns fast durch. Wir brachten sie wohl um einen Rundenrekord. Das muss ein Bild abgegeben haben, vorab ein Van, an dem kein Vorbeikommen war, hinterher eine annähend stehende Kolonne von bis unter die Dächer mit Testosteron befüllten Kisten. So geht Entschleunigung.
Eine Stunde später standen wir neben einer Hauptstrasse im Wald. Der Platz war zwar hässlich und der Verkehr laut, aber in der Nacht sieht man ja eh nichts und beim Verkehr handelte es sich um Leute, die einfach von A nach B wollten. Gute Nacht!
Wenn Dir Hexen, Merlin, Jesus oder andere komische Gestalten über den Weg laufen, dann bist Du in Glastonbury
Bei Tage betrachtet sieht alles anders aus. Noch ahnten wir nicht, dass der Tag heute wieder im Wahnsinn münden sollte, aber in einem anderen. Für manche ist Glastonbury eben nicht einfach nur Glastonbury, sondern das sagenumwobene Avalon. So weit gehe ich noch mit. Aber mir sieht man das nicht an. Dazu aber gleich mehr. Der Parkplatz neben der Glastonbury Abbey war noch fast leer und so konnten wir das Parkfeld mit Bedacht auswählen. Und also wählten wir. Und zwar dasjenige, wo es vorne keine Rolle spielte, dass wir dieses überragten, weil ein einst davor liegendes aufgehoben wurde. So laufen wir nicht Gefahr zuparkiert zu werden. Der Gedanke an sich war gut.
Von Glastonbury Tor aus hat man einen wunderbaren Blick auf die Landschaft von Somerset
Auf dem kurzen Fussweg fielen uns die ersten Gestalten auf, welche wohl wegen üppigem Substanzkonsums die Landepisten nicht mehr zu finden scheinen. Jeder nach seiner Façon, kein Ding, aber ich begann mir etwas Sorgen um unseren Malibu zu machen. Ein Van ist nämlich schnell aufgebrochen. Die Glastonbury Abbey ist wunderschön und am leider längst abgegangenen Grab von Artus und Guinevere waren wir nun auch. Das andere Must-See von Glastonbury ist der Glastonbury Tor, ein spätmittelalterlicher Turm auf einem Höger, der zu einer abgegangenen Kirche gehörte und irgendwie an sechs Tagen im Jahr ein Marktflecken war. Der Höger ist steil und die Temperaturen unterdessen auf 27° angestiegen. Wir sind uns das nicht mehr gewohnt. Oben angekommen nach Luft ringend, füllte sogleich eine Substanz unsere Lungen, woraufhin wir uns nicht mehr sicher sein konnten, heute noch fahren zu dürfen. Rieche ich THC, erkenne ich das auch und soviel habe ich schon verstanden: Wer nach Avalon kommt, will auch eine ordentliche Erscheinung erleben. Mit Hanf lässt sich nachhelfen, ist dieses doch den Halluzinogenen zuzuordnen und die beiden Typen qualmten was das Zeugs hielt. Ich inhalierte in Ermangelung an Atemluft also tief, aber für eine Erscheinung reichte es nicht. Hätte wohl mehr abkriegen müssen.
Völlig unerwartet stimmt ein ad hoc Chor eine wunderschöne Hymne in Abbott’s Kitchen an
Eine mehr esoterische denn chemische Technik, hatte eine andere Kollegin: Sie hat ihre Kristalle mitgebracht und diese ausgelegt, offenbar um diese beim Turm aufzuladen. Stefan wollte sie fragen gehen, ob er ihr sein iPhone kurz überlassen könne, um dieses auch aufzuladen, hatte dann aber ein Einsehen. Nach dem Abstieg begegnete uns – kein Witz, ich schwöre es beim quadratischen Kreis – eine Gruppe von Hexen. Die eine hielt ein brennendes Scheit in der Hand und ich dachte schon, die Schwester will uns unseren Shuttlebus abfackeln. Sie nebelte uns aber nur ordentlich ein damit. Der lokale Fahrgast links hinter mir begann leise zu fluchen. Wir sagten nichts. Ich habe keine Lust morgen mit einem Froschkopf auf dem Hals aufzuwachen. Die Gruppe der Hexen machte sich aber sogleich zum Turm auf, die Hälfte die Smartphones schon gezückt. Offennbar lassen sich Selfies noch nicht mit Hexagrammen aufnehmen. Vielleicht laden sie diese aber anschliessend auf Hexagramm hoch.
Da sind keine sinneserweiternden Substanzen nötig, um von der Schönheit dieser Ruinen verzückt zu sein
Zurück in der Stadt waren sie dann alle wach und auf der Gasse. Glastonbury muss die Hauptstadt des Fusspilzes sein, die Hälfte der Besucher geht barfuss. Stirnglatze und lange Haare sieht man seit den Siebzigern auch nicht mehr so oft. Hier schon. Da hätte ich auch noch die Haarpracht zu. Ein lila gekleideter Merlin (mit lila Spitzhut) wünschte uns einen schönen Tag, mit unverkennbar breitem amerikanischen Akzent. Erst jetzt fiel uns auf, dass jeder zweite Shop Kristalle, Runen, Räucherstäbchen und anderen Hokuspokus verkaufte. Offenbar rechnet sich das, sonst könnte die Dichte dieser Geschäfte nicht so hoch sein. Es wird Zeit hier wegzukommen. Der Parkplatz ist unterdessen proppenvoll. Und Malibu zugeparkt. Da ich wusste, was nun auf ihn und mich zukommen sollte, drehte ich schon mal die Klimaanlage gegen das Blutschwitzen auf und postierte Stefan, der mir vorne rechts, hinten rechts und mitte links aufpassen musste. Ein Ehepaar schaute dem Treiben mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen zu. Ich sagte zu ihnen «It‘s only a matter of hours» und wendete mich dann wieder dem Kurbeln zu. Als Malibu axial in 45°-Lage war, kriegte ich kurz das Flattern. An drei Eckpunkten und der linken Seite des Vans waren nun noch je eine Handbreit Raum. Habe ich ihn nun eingekeilt? Besser nicht darüber sinnieren und weiter kurbeln.
In den 80ern las ich den damals populären Schmöker Die Nebel von Avalon. Einen Verschnitt aus Liebesgeschichte, Esotherik und Geschichtsverklärung. Ich war da noch Kiddie, aber mir war klar: Das Buch ist grottenschlecht.
Pubpy 25. August 2024
Die Bilder sind wunderschön und die Beschreibungen zeigen einen Ort der wohl auch Mystiker anzieht. Vielleicht trifft man dort besonders Menschen die eine Spirituelle Ausbildung geniessen und in dem Ort eine spezielle Energie fühlen. Auch das kann seine Reize haben.