Semur-en-Brionnais: Ah, Frankreich – gäbe es das Land nicht, es müsste erfunden werden. Auf der Stelle. Meine innere Uhr geriet heute irgendwie durcheinander und das obwohl ich heute Morgen mit den Hühnern (f.: Poules) von Château-Challon aufgestanden bin. Die Uhr ist also durcheinander, aber ich bin in Frankreich und darum ist mir das so was von scheissegal. Oder kulturangemessener ausgedrückt – Je m‘en fous.
Wie kommt das wohl? Ich vermute mal, dass es der Tatsache geschuldet ist, dass wir heute zwei Orte touristisch und eine davon grösseren Kalibers. Oder grössten Kalibers? Das wäre wohl zu bestimmen.
Als wir gestern die Landschaft des Bourgogne-Franche-Comté durchpflügten, fiel uns ein pittoreskes Dorf mit Burg auf einer Anhöhe auf und also besuchten wir dieses und beschlossen dort auch gleich Lager zu beziehen, weil hübsch und möglich.
Vor vierzehn Tagen waren wir mit einem Fondue in Gruyères nicht so zufrieden. Gruyères wohlgemerkt. Gestern wagten wir dann das Experiment ein solches im französischen Jura zu verkosten. Machen wir nicht mehr. Geschmacklich war das Fondue absolut in Ordnung, aber irgendwie sollten Käse und Flüssigkeit zusammenfinden und das taten sie nicht und das Brot war gemischt. Will meinen die Hälfte der Stücke hart, weil bestimmt nicht frisch. Aktennotiz: Fondue nur noch vom Käsbueb oder eines sonstigen Anbieters mit einwandfreier Provenienz.
Baume-les-Messieurs ist eines der Plus beaux villages de France. Diese verhalten sich ortschaftstechnisch im weitesten Sinn vergleichbar mit UNESCO-Weltkulturerben; wer sie besucht, macht touristisch bestimmt nichts falsch. Im Gegensatz zu den Weltkulturerben haben die schönsten Dörfer Frankreichs einen zentralen Vorteil. Beim Besuch läuft man kaum Gefahr, dass man anderen Touristikern im Weg ist oder sie einem. Und so konnten wir den im Tal eingebetteten Ort, in welchem die Zeit still zu stehen scheint, in aller Ruhe geniessen.
Aus dieser Kirche in Baume-des-Messieurs zog im 9 Jahrh. einst der Mönch Bernon aus, um das Kloster Cluny zu gründen
Wer gerne in Romantik macht, kommt an einem Ort nicht vorbei – der Abtei von Cluny. Allerdings musste ich gar bitter Tränen weinen, als ich vor Ort feststellen musste, dass von der einst grössten Kirche der Welt heute gerade noch vielleicht ein Zehntel übrig geblieben ist. Was bitte schön soll das denn werden? Da habt Ihr eine romanische Kirche, welche bis zum Bau des Peterdoms während jahrhunderten der grösste Sakralbau der Welt war – romanisch versteht sich, nicht gotisch oder barock, romanisch! – und was tut Ihr? Benutzt diese als Steinbruch. Geht es eigentlich noch? Die französische Revolution mochte durchaus das eine oder andere Gute hervorgebracht haben, aber das Schleifen von Cluny gehört definitiv nicht dazu. Das ist kultureller Hochverrat.
Cluny – tausend Jahre im Zeitraffer
Also lag ich dort, wo einst die riesige romanische Kirche stand darnieder und weinte gar bitterlich. Andere Besuchende machten darob einen etwas verwirrten Eindruck, manche blieben benommen stehen, die meisten machten einen grossen Bogen um mich. Allerdings lag meine Mütze neben mir auf dem Boden und als ich wieder aufstand, befanden sich darin doch einige Münzen, welche mir die eine oder andere Person zugeworfen haben mussten. Das ist doch auch etwas. Beim Verlassen des Ortes spendete ich den Ertrag dem Erhalt der Überresten von Cluny.
Impressionen von der Abtei Cluny, vom noch bestehenden Kreuzschiff bis zum 700 Jahre alten Dachstock des Kornhauses
Zugegeben, der letzte Abschnitt steht der Fiktion näher als der Realität, aber diese ist auch nicht immer die Wahrheit, vor allem in Wirklichkeit.