Ich war schon gar mannigfaltiglich im Walliser Städtchen Leuk, fast ausschliesslich jedoch beruflich und darob jeweils mit Dutzendschaften im Kielwasser. Dabei durfte ich über die vielen Male an so vielen Stadtführungen teilnehmen, dass ich schon fast selber solchige anbieten könnte. Da mein Wollischerdiitsch jedoch mehr als zweifelhaft ist, lasse ich das besser bleiben – ich würde sofort auf- und aus dem Wallis rausfliegen.
Für eine Führung seiner selbst, reicht es aber allemal und das Gut der von Werra fand ich auch auf anhieb. Die älteren Semester der Lesenden werden sich erinnern; Hollywood verfilmte in ‚Einer kam durch‘ das Leben des Franz von Werra in mit Hardy Krüger in Starbesetzung. Franz von Werra ist unterdessen längst tot, Hardy Krüger auch und das einst bestimmt schmucke Schloss der von Werra hat auch schon bessere Tage gesehen. Das stimmt doch ganz gut auf das Kommende ein.
Es heisst stets, dass der Tod in Salzburg zu Hause sei, aber in Leuk ist er das definitiv auch. Die St. Stephanskirche von Leuk ist nämlich die einzige uns bekannte Kirche, in deren Krypta eine Mumie die Besuchenden begrüsst. Faszinierend, wie deren Hände seit Jahrhunderten wie zum Gebet ineinander gefaltet sind. Zartere Gemüter dürften aber von dem wie zu einem Schrei verzerrten Gesichtsausdruck irritiert werden. Aber das wird nicht mit Höllenqualen, sondern mit dem trocknungsbedingten Schrumpfungsprozess bei … aber lassen wir das, Ihr wisst schon, was ich meine. Die Leuker nannten ihre 1982 wiederentdeckte Mumie ‚Den Bischof‘, aber das war er bestimmt nicht, denn er war eine sie und die katholische Kirche verwehrt das Priesterinnenamt den Frauen noch immer. Von Diversity auch nicht viel verstanden, aber wenn das die unternehmerische Strategie ist.
Ortskundige wissen jedoch, dass dem Tod in der Krypta ein solcher abertausendfach im Beinhaus gegenübersteht. Ich war schon so oft im Beinhaus unter der Kirche, dass der Boah-eyy-Effekt ausbleibt. Aus Sicht der gesellschaftlichen Konvention darf ohnehin in Frage gestellt werden, ob ein solcher angemessen ist. Nun ist es aber vielmehr so, dass solche Reaktionen biochemisch und als solche unmittelbar spontan sind. Konventionen in Form von Gedanken wie ‚Darf man das?‘ oder ‚Ist das angemessen?‘ können erst danach einsetzen.
Heute ist es nunmehr so, dass mich ein Besuch im Leuker Beinhaus berührt. Auch, weil ich weiss, dass in dem Raum die Gebeine von mehr als 30‘000 Menschen ruhen. Ich blicke in die Leeren Augen von Schädeln und mir kommt Nietzsche auf den Tod angewendet folgender Gedanke: Wenn du lange genug in den Tod blickst, blickt der Tod auch in dich hinein. Ich kann mich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht nur ich die Schädel anschaue, sondern sie auch mich. Interessanterweise fühlt sich das völlig in Ordnung an. Ob es daran liegt, dass sie den Tod überwunden haben und nicht mehr sterben können? Sie können nicht mehr sterben. Wir schon.
MEMENTO MORI – Bedenke, dass du sterben wirst!