13:25 Uhr, Höhe Zaprešić: In meinem BWL-Studium brachte uns unsere Dozentin für die deutsche Sprache bei, dass nur Spannungen und Konflikte, auch innere, Stoff für Literatur hergäben. Über glückliche Protagonisten könne man keinen Roman schreiben. Dies ist literarisch gesehen ein zentrales Problemfeld beim Schreiben von Reiseberichten. Da geht es den Protagonisten, in diesem Fall gleichzusetzen mit den Reisenden, also Autorschaft und literarische Subjekte in Personalunion, in der Regel und gottlob ja gut.
Eine Zugreise in Kroatien bietet da schon eher literarischen Stoff. Aus Sicht der Bahninfrastruktur muss Kroatien wohl als Schwellenland bezeichnet werden. Der Bahnhof Zagreb, immerhin eine Millionenstadt, hat ungefähr die Dimensionen wie der Bahnhof Zofingen, ist aber gnadenlos veraltet. Sämtliche Züge ab Zagreb haben Verspätungen von rund einer Stunde. Auf den Perrons stehen sich die Leute die Beine in den Bauch und rauchen, als gäbe es kein morgen mehr. Die Sonne vermag nur noch knapp durch den Qualm zu scheinen.
Endlich traf der Zug nach Ljubljana ein und dann ging das Gestopf, Gezerre und Geschiebe los. Das Aus- und Einsteigen dauerte volle zehn Minuten und wäre geeignet gewesen für Filmszenen. Beim Warten in der Menschentraube hatte ich genügend Zeit, mir das Zugreisen in Japan in Erinnerung zu rufen. Shinkansen fährt geräuschlos und auf die Sekunde pünktlich ein, Du weisst, wo Dein Wagen zum Halt kommt, Türen auf, Leute raus, Leute rein und dreissig Sekunden später fährt der Zug wieder. Stressfrei.
Wir hatten sogar Glück und fanden zwei Plätze im Sechserabteil. Wieder mit Amerikanern, diesmal eine ganze Familie, quengelnde Kinder. Die Armen waren komplett verunsichert. Der Knabe sah zudem kaum aus den Augen raus und fragte seine Grossmutter, ob es blute. Scheint wohl irgendwo hingeknallt zu sein, der Ärmste. Ganz so schlimm, wie ich erst fürchtete, scheint es jedoch nicht zu sein, nun spielt er auf einer Konsole. Und ich habe mein iPad auf meinem Schoss liegen und schreibe.
Die EU haben wir vorgestern zwar nicht verlassen, wohl aber den Schengen-Raum. Mit der Grenze scheinen sie es sehr genau zu nehmen. Beim Verlassen von Ungarn wurden wir gleich doppelt überprüft, zuerst vom ungarischen Zoll und eine Minute später von kroatischen Beamten. Draussen suchten sie den Zug zudem mit Taschenlampen ab. Unser heutiger Zug steht nun seit geraumer Zeit. Dobova. Grenzstadt in Slowenien. Sie kommen.
Den kalten Krieg habe ich noch in Erinnerung. Damals war ich aber noch kürzer und gereist sind wir mehr national. So wie jetzt stelle ich mir damalige Grenzkontrollen im Raum des WAPA vor. Der Zug steht noch immer.
Irgendwann fuhren wir wieder und die amerikanische Familie wurde vom Schaffner aus unserem Abteil verbannt, weil sie in der falschen Klasse waren. Poor guys.
Spontan zu reisen ist zwar eine feine Sache, aber die Spontaneität scheinen wir es diesmal beinahe überdehnt zu haben. In Ljubljana war nämlich fast nichts mehr zu kriegen für zwei Nächte, und die noch verfügbaren Unterkünfte nur noch zu unverschämten Preisen. Und so blicken wir nun vom Zimmer direkt auf die Aussenmauer der Uniklinik, die Krankenwagen sirenen direkt vor unserem Hotel los. Und das für denselben Preis, für welchen ich in Amsterdam an bester Lage fünf Sterne für drei Nächte kriegte. Aber es hätte schlimmer kommen können und wir müssten unter einer Brücke nächtigen. Im Sommer könnte man das ja noch diskutieren, aber bei minus fünf Grad dann doch lieber nicht.
Ljubljana ist hübsch, wie wir uns bei unserer kurzen abendlichen Tour in und durch die Altstadt versichern konnten. Morgen wollen wir uns die Stadt genauer ansehen.
Euch allen schon mal eine tolle Sause am heutigen Silvestertag.