Bufta-bufta-bufta! Blick auf iPhone – halb Vier. Morgens. Umdrehen, verdrängen, weiterschlafen. Irgendwann war dann Ruhe. Also war es Zeit aufzustehen.
Es dem Brettspiel Mr. X gleichtuend ein paar mal umgestiegen und eine kurze Bahnfahrt später fielen wir in Versailles ein. Dass Versailles, respektive das gleichnamige Schloss und Touristen einhergehen wie etwas nur einhergehen kann, ist schon klar, aber so viele Leute habe ich hier also noch nie gesehen. Macht schon fast nicht mehr Freude. Aktennotiz: Vermehrt sanften Tourismus betreiben. Brompton, Waldwege und so. Aber wir sind ja wegen Versailles hier und so passt das schon.
Steigern Sie: Haus – Villa – Schloss. Exakt. Aber da kommt noch was. Versailles natürlich. Wer gibt sich schon, neben der Residenz bloss mit einem Jagdschloss zufrieden? Das geht auch besser. 2300 Zimmer, ein pompöser Spiegelsaal und eine Gartenanlage, die ihresgleichen sucht, dürfen es dann schon mal sein. Fairerweise muss man sagen, dass das Schloss nicht nur für König, Königin und ein paar Mätressen reichen musste, der Hofstaat brachte rund 10‘000 Leute mit sich. Bereits Marie-Antoinette soll zu Madame Dubarry, ihres Zeichens Mätresse des Schwiegervaters der Königin, gesagt haben: „Il y a bien du monde aujourd’hui à Versailles“. Es sollen die einzigen Worte gewesen sein, welche die Königin je an Frau Dubarry gerichtet haben soll. Es schien also damals nicht gross anders gewesen zu sein als heute. Aber Versailles steckt das gelassen weg.
Ein grosses Haus hat heute die eine oder andere Nasszelle, aber das war damals nicht so en vogue. Adlige hockten sich schon einfach mal in eine Ecke. Angestellte kümmerten sich dann mit Schaufel und Besen um die blaublütigen Hinterlassenschaften. Auch duschen oder baden waren nicht so. Wozu auch? Reichlich Parfum übergegossen, Perücke und Gesicht ordentlich nachgepudert und Dauphine, Comtesse oder Vicompte waren aufgefrischt.
Ich frage mich, ob die hiesige Gesellschaft damals wirklich so intrigant war, wie man gemeinhin glauben macht, oder ob das bisweilen durch Romane und Netflix zu unserer Bespassung stark überzeichnet wird. Zur Klärung müsste man wohl ordentlich Soziologiegeschichte studieren. Oder eine Zeitreise tun. Das wäre mal spannender Tourismus. Könnte man sich nämlich X-Ray-Scans des Gepäcks sparen. Allerdings wäre die Anreise durch die Wälder wegelagererbedingt heikel. Nicht alle hatten damals nämlich so viel Geld.
Frankreich verlumpte seinerzeit ohnehin kläglich. Kriege waren (und sind) teuer, Adlige auch und der Bau des Schlosses Versailles war der Staatskasse auch nicht eben zuträglich. Hunger und Unzufriedenheit stiegen und schliesslich war die Revolution da und die Guillotine im Dauereinsatz. Mit letzterer machten auch König Louis XVI und Königin Marie-Antoinette Bekanntschaft. Im Schloss Versailles war es bestimmt gemütlicher, als auf der Place de la Concorde. Was will uns das sagen? Gesellschaften sollten dem Gefälle zwischen arm und reich Aufmerksamkeit schenken. Etwas Bescheidenheit und einen klaren Blick würden helfen. Oder um es mit den verpeilten, aber Marie-Antionette zu Unrecht in den Mund gelegten Worten auszudrücken: „S‘ils n‘ont pas de pain, qu‘ils mangent de la brioche.“
Solche Gedanken machten sich die Chinesen wohl nicht, welche rechts von mir auf der Holzbank sassen. Ich verstand natürlich kein Wort und bloss chinesisch, war mir aber ziemlich sicher das Wort „Interlaken“ zweifach herausgehört zu haben. Da würden sie wohl heute Nachmittag sein. Wir nicht. Wir gingen in den Parc du château de Versailles. Der ist vergleichbar weitläufig wie das Berner Oberland. Einfach ohne Kühe. Und ohne Oberländer.
Auf dem Rückweg zum Bahnhaufen der Stadt Versailles fanden wir unter Platanen etwas Schatten, wo Victoria einige Hintergrundinformationen zu den Gartenanlagen gab und ich hustete auf Wunsch des Klassenlehrers noch etwas zu Maréchal Vauban, der da auch noch mittat. Unterdessen waren wir müde, Vauban ziemlich tot und also beschlossen wir unser Tagesprogramm.